Eine Entscheidung mit gesundem Menschenverstand. Das Urteil ist jedoch noch nicht rechtskräftig.
Zu den Parteien:
Unsere Mandantin ist ein Software-Unternehmen, welches unter anderem Softwareprodukte und damit in Zusammenhang stehende Dienstleistungen anbietet.
Die Klägerin ist eine Werbeagentur, die in Zusammenarbeit mit ihrer Kundin die Digitalisierung der Werbemittellogistik beim Dekoversand einführen wollte.
Unsere Mandantin unterbreitete der Klägerin auf Grundlage eines Anforderungskatalogs und anschließend nach mehreren Videokonferenzen ein Angebot. In diesem Angebot war eine Software-Lösung zum Kauf angeboten. Zudem wurde die Erweiterung/Entwicklung von Clientfunktionen und weitere Dienstleistungen nach Bedarf angeboten. Die Klägerin erteilte den Auftrag. Sie erteilte ebenfalls den Auftrag für das Hosting inklusive Microsoft-Lizenzen und Unterstützung bei Installation und Wartungsarbeiten (mit Stundensatzangabe). Auf die Position „Erweiterung/Entwicklung von Clientfunktionen“ wurde im Anschluss an den Vertragsschluss verzichtet.
Forderung der Klägerin
Die Klägerin war der Auffassung, dass unsere Mandantin als Fachfirma verpflichtet gewesen sei, die Klägerin hinsichtlich der Software und der erforderlichen Anpassungsleistungen zu beraten, da ihr der Anforderungskatalog vor Vertragsschluss bekannt gemacht worden sei. Der Anforderungskatalog war weder dem Angebot unserer Mandantin noch dem Auftrag beigefügt.
Die Klägerin war außerdem der Auffassung, dass ein Gesamtsystem beauftragt wurde und nicht nur gestückelte Leistungen wie etwa ein Softwarekauf und weitere Dienstleistungen (unter Hinweis auf das Urteil des (BGH vom 04.03.2010 – III ZR 79/09 – Internet-System-Vertrag). Daher bestehe hier ein Werkvertrag.
Wir sahen das anders, denn es gab kein Pflichtenheft, der Anforderungskatalog war nicht Bestandteil des Vertrags und es gab somit keine Sollfunktionen, die unsere Mandantin hätten herstellen können.
Die Klägerin war am Ende unzufrieden und erklärte zunächst die außerordentliche Kündigung mit einer für uns unverständlichen Begründung. Während des Verfahrens wollte die Klägerin die Kündigung als Rücktritt auslegen.
Der Mangel bestehe darin, so die Klägerin, dass die Software über den Browser nicht verfügbar und somit nicht nutzbar gewesen sei. Es war eine wichtige Anforderung, dass die Software über den Browser zugänglich war.
Eine Fristsetzung zur Mangelbeseitigung sei nicht erforderlich gewesen, so die Klägerin, nachdem unsere Mandantin angeblich die Leistungen endgültig verweigert habe.
LG München zur Vertragsart
Das LG München I führt aus:
„Die Verträge zwischen den Parteien sind schon nicht als Werkverträge zu qualifizieren, denn sie beinhalten keine Definition von Werkleistungen, die von der Beklagten zu erbringen wären. Zwar hat die Beklagte von der Klägerin unstreitig vor Abgabe ihres Angebots den Anforderungskatalog (K1) erhalten. Dieser Katalog ist jedoch nicht Vertragsbestandteil geworden, auch nicht durch eine Erwähnung im Erweiterungsangebot vom 10.03.2022 (K5). Vielmehr diente der Katalog offensichtlich dazu, es der Beklagten zu ermöglichen, ein auf die Anforderungen der Klägerin abgestimmtes Angebot zum Kauf der Software einerseits abzugeben und andererseits mögliche Anpassungsleistungen, die bei einer Standardsoftware üblich sind, abschätzen zu können. Deshalb enthalten die Verträge an keiner Stelle Werkleistungen der Beklagten, sondern zum einen die verkaufte Software und zum anderen hinzukommende Leistungen wie das Hosting, Wartung, Schulung, und Anpassung je nach Anforderung durch die Klägerin. Im Vordergrund steht jedoch die Standardsoftware, die nicht etwa für die Klägerin programmiert, sondern lediglich angepasst werden musste.“
LG München zu vorvertraglichen Beratungsverpflichtungen:
„Die Klägerin kann der Beklagten auch nicht eine vorvertragliche Pflichtverletzung zu Last legen mit der Folge, dass sie die geleisteten Zahlungen zurückerhält. Zwar trifft die Beklagte als Fachunternehmen nach Erhalt des Anforderungsprofils der Klägerin eine Beratungspflicht dazu, welche die technischen Lösungen zur Umsetzung der Anforderungen sind, insbesondere zur Auswahl der geeigneten Software. Jedoch bestehen keine Anhaltspunkte für die Verletzung einer derartigen Beratungspflicht, denn die Klägerin hat eine Ungeeignetheit der Software bislang nicht behauptet. Sie hat im Gegenteil mit dieser Software bis zum 27.10.2022 (B13) gearbeitet und bis zu diesem Zeitpunkt 624 Objekte mit insgesamt 7,82 GB in den Ordner Artikelbilder eingefügt. Auch hat sie an keiner Stelle Mängel der Software gerügt.“
Anmerkung
Das Urteil des LG München (Az. 12 HK O 11451/23) hat sich in zwei mündlichen Verhandlungen intensiv mit der Frage beschäftigt, ob ein Werkvertrag vorliegt oder nicht. Es hat dabei die Grundsätze des altbekannten Urteils des BGH (BGH, Urteil vom 04.03.2010 – III ZR 79/09 – Internet-System-Vertrag) berücksichtigt, aber festgestellt, dass die Hauptleistungspflicht in diesem Fall die Lieferung einer Standardsoftware war.
Diese Entscheidung ist deshalb zu begrüßen, da die Erfahrung zeigt, dass viele Gerichte in der Vergangenheit unreflektiert Werkverträge auf Basis des Urteils des BGH – Internet-System-Vertrag – annehmen, ohne den Einzelfall genau zu betrachten. Und gerade darauf kommt es aber im IT-Recht an. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen der einzelnen Vertragsarten sind nicht zu unterschätzen.
Wenn Sie Fragen haben, sprechen Sie uns gerne an.
Inge Seher