Das europäische Urheberrecht ist vollharmonisiert, was bedeutet, dass die betreffenden Regelungen des deutschen Urhebergesetzes genauso ausgelegt werden müssen, dass sie in Übereinstimmung mit den entsprechenden Regelungen der europäischen Regelungen des Urhebergesetzes stehen. Deshalb ist diese Entscheidung des EuGH auch für den deutschen Markt interessant.
Es ging darum, dass ein Unternehmen eine Software dekompiliert hatte, um darin Fehler zu beseitigen. Die Software wurde ordnungsgemäß gekauft. Die Versuche, mit dem Lizenzgeber eine Einigung zur Beseitigung der Fehler zu erzielen, waren zuvor gescheitert. Also dekompilierte der Lizenznehmer die gekaufte Software. Dagegen klagte der Lizenzgeber mit einer Feststellungsklage, nach deren Inhalt festgestellt werden sollte, dass die Dekompilierung rechtswidrig war.
Das Urheberrecht funktioniert strukturell immer so, dass es dem Inhaber der Rechte bestimmte Verbotsrechte einräumt. Dieser kann von jedem Dritten Dinge die Unterlassung von Handlungen verlangen, wenn das Gesetz ihn mit den entsprechenden Verbotsrechten ausstattet. Diese Verbotsrechte entstehen in der Person des Programmierers und werden in dem Moment ihrer Entstehung automatisch auf den Arbeitgeber übertragen, § 69b UrhG oder werden, wenn die Software durch Subunternehmer oder Geschäftsführer erstellt oder bearbeitet wird, dann mittels Vereinbarungen über den Übergang von den Nutzungsrechten auf den Auftraggeber übertragen. Zu diesen Verbietungsrechten gehört das Recht, von jedem andere eine Bearbeitung oder Veränderung des Sourcecodes verlangen zu können. Im deutschen Recht geht es hier um den § 69c Nr. 2 UrhG, der die Regelung des Art 4 lit. b. RL 91/250 der europäischen Union umsetzt.
Grundsätzlich hat also das Softwareunternehmen das Recht es anderen zu verbieten, die Software zu bearbeiten oder bearbeiten zu lassen.
Das Urheberrecht sagt aber auch, dass diese Verbotsrechte nicht grenzenlos gelten. Man spricht von den Schranken urheberrechtlicher Befugnisse. Der Inhaber der Verbotsrechte kann bestimmte Dinge nicht verbieten. Beispiel: Grundsätzlich darf man Software nur mit der Zustimmung des Rechteinhabers vervielfältigen (sic. eine Kopie erstellen) § 69c Nr. 1, aber Ausnahme § 69d Abs.1 : Wer ein Computerprogramm gekauft hat, darf ohne Zustimmung des Rechteinhabers auch eine Sicherungskopie erstellen. Man braucht also keine explizite Zustimmung (Lizenz) des Lizenzgebers.
Und das Urheberrecht geht noch weiter: Nicht nur dass man in bestimmten Fällen keine Lizenz für die Handlung braucht, der Rechteinhaber kann bestimmte Handlungen auch überhaupt nicht verbieten.
Der EuGH hat jetzt festgestellt, was die deutschen Juristen schon lange angenommen hatten: Das Recht der Dekompilierung einer Software besteht auch gegen das ausdrückliche Verbot des Rechteinhabers dann, denn wenn die Dekompilierung der Korrektur eines Fehlers dient. Egal, was in Eulas oder dergl. steht: Man darf dekompilieren, wenn die gekaufte Software Fehler aufweist.
Der EuGH stellt zuerst fest, dass der Einsatz eines Compilers dafür sorge, dass die Software technisch bedingt noch einmal vervielfältigt werde (es wird eine Kopie) erstellt, und fragte danach, ob die Anfertigung dieser Kopie ohne Willen des Rechteinhabers rechtmäßig sei: Ja (Rn.40).
Denn gemäß Art 5 RL 91/250 EU dürfe der rechtmäßige Erwerber eines Programms alle in Art 4 lit.a und lit. b genannten Handlungen vornehmen, die in der Anfertigung einer Kopie oder in der Anfertigung einer Übersetzung des Programm liegen, ohne die Zustimmung des Rechteinhabers zu besitzen. Aus dem Wortlaut des Art 6 i.V.m den Erwägungsgründen 19 und 20 der RL 91/250 ergäbe sich, dass eine Dekompilierung nicht nur vorgenommen werden dürfe, um eine Schnittstelle herzustellen, wie es der Wortlaut nahelege, nein: Der rechtmäßige Erwerber dürfe daneben auch ein Programm dekompilieren, wenn es um die Beseitigung von Fehlern ginge.
Wenn man das als deutscher Jurist liest, stellt man fest, dass man viele Sätze und Wörter verwenden kann, um das Offensichtliche zu sagen: Die Fehlerbeseitigung darf nicht daran scheitern, dass man die Software dekompilieren muss. Hierzu sagt der EuGH (Rn. 57): Die Dekompilierung muss erforderlich sein, um den Fehler zu beseitigen. Das ist nicht der Fall, wenn der Source voeliegt. Interessant – und das wird sich in der deutschen Rechtsprechung wiederfinden – ist dass der EuGH sagt, es ginge hier nicht um Mängel, sondern um Fehler. Es geht also nicht nur um Funktionsstörungen, die durch das IT Unternehmen schuldhaft während der Dauer der Gewährleistung verursacht werden, sondern ganz allgemein um Funktionsstörungen. Der Fehler muss verhindern, dass man das Programm bestimmungsgemäß nutzen kann.
Der EuGH betont aber, dass es den Parteien möglich sein müsse, die Modalitäten einer Fehlerkorrektur vertraglich festzulegen (Rn. 67). Ein Recht zur Dekompilierung bestehe also dann nicht, wenn das IT Unternehmen sich zur Wartung der Software verpflichtet habe. Ohne eine solche vertragliche Pflicht sei eine Dekompilierung aber möglich. Etwas anderes als eine Fehlerbehebung sei nicht statthaft, also dürfe nicht etwa die Fehlerbehebung veröffentlicht werden.
Das Problem für die IT Unternehmen setzt aber dort ein, wo der Kunde nun mittels eines anderen Unternehmens den Objektcode dekompilieren kann, um Fehler zu beheben.