Einführung
Marken unterliegen regelmäßig der Prüfung, ob sie die erforderliche Unterscheidungskraft aufweisen. Obwohl das Deutsche Patent- und Markenamt keine Prüfung der relativen Schutzhindernisse vornimmt, wird jede Marke im Hinblick auf die Unterscheidungskraft in Bezug auf die in Anspruch genommenen Waren und Dienstleistungen geprüft. Dies gilt auch für das Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt in Bezug auf Gemeinschaftsmarken. Die Entscheidung des jeweiligen Amtes über das Vorliegen der Unterscheidungskraft kann auch überprüft werden. Die Entscheidungen des DPMA werden vom Bundespatentgericht geprüft; Beurteilungen des HABM werden vom Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaft geprüft.
Diese Entscheidungen sind allerdings nur maßgeblich für das Eintragungsverfahren. Die Frage der Unterscheidungskraft kann jedoch auch von erheblicher Bedeutung im Verletzungsprozess sein. In der Regel muss zwischen den streitgegenständlichen Zeichen eine Verwechslungsgefahr vorliegen. Die Verwechslungsgefahr hängt von drei maßgeblichen Faktoren ab: der Ähnlichkeit der Zeichen, der Ähnlichkeit der Waren und Dienstleistungen und der Kennzeichnungskraft der älteren Marke.
Die Kennzeichnungskraft spiegelt die Unterscheidungskraft wider.
Im Verletzungsprozess muss daher regelmäßig festgestellt werden, welchen Grad der Kennzeichnungskraft die ältere Marke hat.
Wird die Unterscheidungskraft einer Marke bereits im Eintragungsverfahren geprüft, kann sich sodann im Verletzungsprozess die Frage stellen, welche Kennzeichnungskraft die Marke hat. Gibt es eine Bindungswirkung für das Gericht, das die Frage später klären muss? Ist das nationale Gericht des Verletzungsprozesses dann an etwaige Entscheidungen des HABM bzw. des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaft gebunden?
Urteil des BGH vom 03.04.3008, Az. I ZR 49/05
Diese Frage wurde vom BGH im Urteil vom 03.04.2008 beantwortet. In diesem Fall standen sich die Marken „Schuhpark“ und „Jello Schuhpark“ gegenüber. Das Berufungsgericht war der Ansicht, dass die Marke „Schuhpark“ nur über eine geringfügige Unterscheidungskraft verfüge, da „Schuh“ für die in Anspruch genommenen Waren rein beschreibend sei. Aufgrund des Verständnisses des Verkehrs sei „Park“ auch nicht geeignet, die Kennzeichnungskraft der Marke erheblich zu steigern.
Das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften hatte jedoch in einem Verfahren in 2005 festgestellt, dass das Zeichen „Schuhpark“ über eine normale Kennzeichnungskraft verfüge. Die Klägerin in diesem damaligen Verfahren hatte allerdings auch nicht nachgewiesen, dass die Bezeichnung als große Verkaufstätte für Schuhe aufgefasst werde. Insoweit ist das Gericht erster Instanz von einem Zeichen mit einer gewissen Originalität ausgegangen.
Es stand daher die Auffassung des Europäischen Gerichts (= normale Kennzeichnungskraft) der Auffassung des Deutschen Gerichts (= geringfügige Kennzeichnungskraft) gegenüber.
Der BGH hat festgestellt, dass sich die unterschiedlichen Auffassungen der Gerichte nicht auf unterschiedliche Rechtsauffassungen bezogen haben, sondern lediglich auf die unterschiedliche Beurteilung der Verkehrsauffassung. Die Beurteilung der Verkehrsauffassung sei jedoch eine Aufgabe des Tatrichters. Im Rahmen der Revision könne der BGH daher nur noch prüfen, ob der Tatrichter „den Prozessstoff verfahrensfehlerfrei ausgeschöpft und seine Beurteilung der Verkehrsauffassung frei von Widersprüchen mit den Denkgesetzen und den Erfahrungssätzen vorgenommen hat“ (BGH GRUR 2008, 1434, 1437 – Schuhpark).
Die Beurteilung der Unterscheidungskraft (≈ Kennzeichnungkraft) wird allgemein als Rechtsfrage behandelt. Um diese Rechtsfrage zu klären, muss das jeweilige Gericht die jeweiligen Tatsachen und Erfahrungssätze bewerten. Folglich kann der Grad der Unterscheidungskraft auch nicht allein durch ein Gutachten geklärt werden. Da die Umstände in einem Fall anders gelagert sein können als in einem anderen Fall, können bei der Prüfung der Verwechslungsgefahr unterschiedliche Beurteilungen erfolgen.
Insoweit musste der BGH nicht davon ausgehen, dass sich die Urteile des Berufungsgerichts und des Gerichts erster Instanz widersprochen haben, sondern lediglich andere Umstände zur Beurteilung vorlagen, die auch ein anderes Ergebnis gerechtfertigt haben.