Teil I: Übersicht und Relevanz für den Bereich BTB
1.) Änderungen.
In Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union vom 20.5.2019 über digitale Inhalte und digitale Dienstleistungen (2019/770 DIDRL) hat der deutsche Gesetzgeber am 25. Juni 2021 eine Änderung des BGB beschlossen, die am 1. Januar 2021 in Kraft tritt. Zu diesem Zeitpunkt tritt ebenfalls die WKRL – die neue Warenkaufrichtlinie in Kraft– durch die auch der Sachmangelbegriff des § 434 BGB und weitere Regelungen geändert werden.
Die Besonderheit der neuen §§ 327ff. BGB besteht darin, dass die Einordnung der Verträge nicht mehr nach Kauf, Miet- oder Werkvertrag unterscheidet, sondern nur noch „Verträge über digitale Inhalte“ abgeschlossen werden. Es gibt jetzt ein sektorenspezifisches IT- Recht im BGB.
2.) Relevanz für den Bereich des BTB
Nach dem Wortlaut betreffen die Änderungen „nur“ Verträge für die Verbraucherverkehr, also BTC. Sie werden aber kurz- und mittelfristig den Bereich des kaufmännischen Verkehrs erreichen. Mittelfristig deshalb, weil sich die Kundenerwartung von Unternehmen immer schon an Regelungen des BGB zum Verbraucherschutz orientiert haben. Man denke einfach an die Diskussionen zum Thema Haftung und Gewährleistung, in deren Verlauf die Kunden immer „nur“ die gesetzlichen Regelungen zur Anwendung bringen möchten und dabei wissentlich verschweigen, dass diese Regelungen dem Schutz des Verbrauchers dienen. Und kurzfristig deshalb, weil in vielen Einkaufs -AGB der Kunden schlicht „auf die gesetzlichen Regelungen“ verwiesen wird, wenn es um die Bereiche der Gewährleistung geht.
Die Änderungen sind qualitativ und quantitativ gewaltig. Ähnlich wie die Einführung der DSGVO wird diese Gesetzesänderung für lange, lange Zeit für Vollbeschäftigung bei den deutschen Juristen sorgen. Auch auf Vertrieb und Marketing werden die Beeinflussungen massiv ausfallen.
Wesentliche Änderungen der Gesetzeslage erkläre später, einen Überblick vermittele ich hier:
Vertragstypen:
a.) Kaufrecht:
aa.) Es gibt keinen reinen Kaufvertrag mehr. Falls digitale Produkte verkauft wurden, muss der Unternehmer nach dem Inhalt des Gesetzes nun dafür sorgen, dass sich das Gerät durch Aktualisierungen mindestens 2 Jahre lang auch weiterhin benutzen lässt. Ein Kaufvertrag über einen PC bedeutet also auch immer, dass der Kunde Aktualisierungen für die Software über 2 Jahre erhält. Ein Kaufvertrag über Software bedeutet immer auch den Abschluss eines Softwarepflegevertrags.
bb.) Der Begriff des Sachmangels ändert sich.
b.) SaaS, Hosting etc.:
Die neuen gewährleistungsrechtlichen Vorschriften gehen den „normalen“ Gewährleistungsrechten des BGB vor, sofern Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmen über digitale Produkte abgeschlossen werden. Auch für das Dienstvertragsrecht sollen nun die Gewährleistungsrechte der §§ 327 ff. BGB für digitale Produkte gelten.
Das wird zu einer gewaltigen Änderung führen: Viele Cloudverträge wie SaaS etc. werden in Zukunft vermutlich eher dem Dienstvertragsrecht unterfallen, weil die alte Einordnung des BGH, nach dessen Inhalt die Verträge als Mietverträge einzuordnen sind, nun durch die gesetzgeberische Aktivität obsolet sind.
c.) Softwarepflege, Wartung, Support etc.
Auch die typologische Einordnung vieler Verträge ändert sich. Während die Juristen in der Vergangenheit immer wieder die Entscheidung „Internetsystemvertrag“ des BGH herangezogen haben, um eine Anwendbarkeit des Werkvertragsrechts zu begründen oder abzulehnen, besteht jetzt die Besonderheit der neuen §§ 327ff. BGB darin, dass die Einordnung der Verträge nicht mehr nach Kauf-, Miet-, Dienst- oder Werkvertrag unterscheidet, sondern nur noch „Verträge über digitale Inhalte“ abgeschlossen werden.
Bsp.: Softwarepflegeverträge können je nach Ausgestaltung der Leistungen Werk- oder Dienstverträge sein.
In Zukunft wird das anders sein.
Teil II: Mangelbegriff
Gem. § 327e Abs.1 BGB ist das digitale Produkt frei von Mängeln, wenn es zu dem maßgeblichen Zeitpunkt den subjektiven (§ 327e Abs.2) und den objektiven Anforderungen genügt, und gem. § 327 Abs.4 den Anforderungen an die Integration entspricht.
Die wesentliche Änderung – die sich als Geschenk für den Bereich des IT- Sachverständigenwesens herausstellen wird – ist, dass die objektiven Kriterien kumulativ neben die subjektiven Kriterien treten. Im „normalen“ Recht werden die objektiven Kriterien nur dann herangezogen, wenn die subjektiven Kriterien nicht ausreichend sind, um den Inhalt der Leistungspflicht zu konkretisieren. Beispiel: Bei dem Abschluss des Vertrags wird vereinbart, dass die Software nur kompatibel zu einer Schnittstelle sein soll. Wird die Kompatibilität zu einer weiteren Schnittstelle nicht vereinbart, muss die Software nicht mit weiteren Schnittstellen vereinbar sein. Nach dem neuen Recht ist das nicht so. Die Software muss Ihre Eignung für die „gewöhnliche Eignung“ und „die erwartbare Beschaffenheit“ aufweisen, die bei digitalen Produkten gleicher Art erwartbar sei. Eine Abweichung von dieser erwartbaren Beschaffenheit muss dem Verbraucher ausdrücklich und gesondert vor dem Vertragsabschluss zur Kenntnis gebracht werden.
Diese Änderung wird zu großen Schwierigkeiten in der Praxis führen. Sie geht von einem Marktverständnis aus, in dem viele gleichartige Produkte nebeneinander in einem Laden betrachtet werden können. Wenn das eigene Produkt nicht die Dinge liefert und beinhaltet, die man von „Produkten“ der gleichen Art erwarten kann, muss man eine Art von Negativ- Liste führen. Wer sich jemals mit IT- Produkten befasst hat, wird wissen, dass genau die Erkenntnis „über den Inhalt der Erwartungshaltung des Kunden“ das große Problem ist. Und die Frage ist außerdem, was das vergleichbare Produkt überhaupt ist. Es ist klar, dass sich jetzt vorrangig die Gerichte mit der Frage der Erwartbarkeit befassen werden. Und die werden in einer kaum unterbrechbaren Folge IT- Sachverständige einschalten, und ob die dann qualitativ basierte Aussagen machen werden, wird von mir bezweifelt. Auch die Sachverständigen müssten ja die Frage beantworten, was sind vergleichbare Produkte, und was ist der vergleichbare Markt?
Wichtig auch: Wer Testprodukte überlässt, muss dafür sorgen, dass das Produkt später auch die Eigenschaften der getesteten Version hat. Das mag sich schlicht anhören, bedeutet aber, dass das neue Release nicht anders funktionieren darf, als die getestete Version. Außerdem muss das Produkt auch das vom Verbraucher berechtigterweise erwartbare Zubehör (?) und eine Anleitung umfassen. Die Anleitung muss auch die „Integration“ (§ 327e Abs.4) umfassen oder der Unternehmer muss sie selbst vornehmen.
Einen reinen Kaufvertrag wird es nicht mehr geben. Das Gesetz verpflichtet den Unternehmer immer auch, Aktualisierungen für digitale Produkte bereit zu stellen. Vom Backofen über das Auto bis zum Fernseher, alles muss aktualisiert werden können. Welche Verflechtungen sich hier mit dem beliebten Thema Datenschutz ergeben, ist noch nicht absehbar.