Das OLG Frankfurt a.M. hat in seinem Urteil vom 13.06.2024 (Az. 16 U 195/22) entschieden, wann ein Plattformbetreiber für Inhalte Dritter haftet. Das Ergebnis finden Sie am Ende.
In dem Fall ging es um die Frage, ob eine Betreiberin einer Kommunikationsplattform (hier die Plattform X) zur Löschung und Unterlassung bestimmter Äußerungen eines Nutzers verpflichtet ist. Der Kläger, der als Antisemitismusbeauftragter der Landesregierung Baden-Württemberg tätig ist, hatte mehrere Beiträge eines jüdischen Journalisten als rechtsverletzend beanstandet und deren Löschung verlangt. Das Landgericht Frankfurt hatte der Klage zunächst stattgegeben und die Plattformbetreiberin zur Unterlassung verpflichtet, während das OLG nun anders entschied. Es verneinte bereits die Passivlegitimation der Beklagten.
Um welche Beiträge ging es
Die streitgegenständlichen Beiträge wurden vom Nutzer „A“, einem jüdischen Journalisten, auf der Kommunikationsplattform der Beklagten veröffentlicht und enthielten vermeintlich schwerwiegende Vorwürfe und Beleidigungen gegenüber dem Kläger. Der Kläger beanstandete diese Beiträge, die ihn sowohl in seiner beruflichen als auch in seiner privaten Ehre verletzten sollten. Die wesentlichen Inhalte der Beiträge waren:
Vorwurf der Nähe zur Pädophilie
In einem der Beiträge wurde in Frage gestellt, ob der Kläger aufgrund eines angeblichen Kontakts mit einer „möglicherweise minderjährigen Asiatin“ pädophile Neigungen habe. Diese Mutmaßung wurde als rhetorische Frage formuliert, um dem Vorwurf einen vermeintlich spekulativen Charakter zu geben.Vorwürfe sexuellen Fehlverhaltens
Ein weiterer Beitrag warf dem Kläger vor, auf der Suche nach einer minderjährigen Asiatin gewesen zu sein und stellte die Frage, ob seine Frau von diesem „sexuellen Fehlverhalten“ wisse und es dulde.Seitensprung und Gerüchte über Affären
Ein dritter Beitrag behauptete, der Kläger habe einen Seitensprung mit einer Frau namens „E“ begangen. Diese Behauptung stellte eine direkte Verletzung der Intimsphäre des Klägers dar.Antisemitismus-Vorwürfe
Der Kläger wurde zudem in mehreren Beiträgen als Teil eines „Packs von Antisemiten“ bezeichnet. Hierbei wurde dem Kläger implizit oder explizit antisemitisches Gedankengut unterstellt, was ihn in seiner Rolle als Antisemitismusbeauftragter besonders stark traf.Stimmungsmache gegen den Kläger
Die Beiträge enthielten des Weiteren abwertende Bezeichnungen wie „antisemitischer Bürokrat“ und suggerierten eine Nähe des Klägers zu Personen oder Gruppen, die antisemitische Ansichten verträten. Diese Aussagen dienten nach Ansicht des Klägers der reinen Stimmungsmache und zielten darauf ab, seine berufliche Integrität zu untergraben.
Entscheidungsgründe des OLG Frankfurt
1. Keine hinreichende Kenntnis der Beklagten von Rechtsverletzungen
Das OLG stellte fest, dass es an der Passivlegitimation der Beklagten fehle, da die Voraussetzungen für eine Haftung als Hostprovider nach den Grundsätzen der mittelbaren Störerhaftung nicht erfüllt seien. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein Hostprovider nicht dazu verpflichtet, die von Nutzern eingestellten Inhalte vorab auf Rechtsverletzungen zu überprüfen. Eine Haftung kann nur dann eintreten, wenn der Hostprovider durch eine klare und konkrete Mitteilung auf eine mögliche Rechtsverletzung hingewiesen wird.
Im vorliegenden Fall stellte das OLG fest, dass das vom Kläger vorprozessual übersandte Anwaltsschreiben keine hinreichend präzise Darlegung der beanstandeten Rechtsverletzungen enthielt. Es fehlte eine konkrete Auseinandersetzung mit den in den Beiträgen geäußerten Vorwürfen. Beispielsweise wurde nicht dargelegt, dass die Behauptungen über eine angebliche Nähe zur Pädophilie oder der Vorwurf eines Seitensprungs tatsächlich unwahr seien. Diese fehlende Konkretisierung hindere, so das OLG, die Beklagte daran, die Beiträge rechtlich zu bewerten und gegebenenfalls zu löschen.
2. Meinungsäußerungen und Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Meinungsfreiheit
Ein zentrales Argument des OLG war die Einordnung der beanstandeten Äußerungen als Meinungsäußerungen. Bei den Vorwürfen der Nähe zu Pädophilie, des sexuellen Fehlverhaltens und des Antisemitismus handle es sich in diesem Fall um Werturteile, die von der Meinungsfreiheit gedeckt sein können, solange sie nicht gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen verstoßen. Aus diesem Grund müsse eine komplexe Abwägung zwischen der Meinungsäußerung und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen erfolgen.
Für eine Haftung des Hostproviders müsse klar sein, dass solche Meinungsäußerungen jeglicher tatsächlicher Grundlage entbehren. Diese Voraussetzung sah das OLG jedoch nicht als erfüllt an. Der Kläger habe in seiner Abmahnung nicht ausreichend dargelegt, dass es keinerlei Anknüpfungstatsachen für die gegen ihn erhobenen Vorwürfe gebe. Ferner sei zu berücksichtigen, dass sich die Kritik in den Beiträgen an der Amtsführung des Klägers als Antisemitismusbeauftragter und nicht an seiner privaten Person entzünde, was die Grenze zur zulässigen Kritik im Rahmen der öffentlichen Debatte über Antisemitismus verschiebe.
3. Unklare Formulierungen der Beanstandungen in der Abmahnung
Das OLG bemängelte zudem, dass aus den Beanstandungen des Klägers nicht eindeutig hervorgehe, welche Teile der Beiträge konkret angegriffen werden sollten. Beispielsweise sei unklar, ob der Kläger den gesamten Beitrag oder nur einzelne Passagen, wie etwa den Begriff „Pack von Antisemiten“, beanstande. Diese Unklarheit erschwere es der Beklagten, eine rechtliche Bewertung der Beiträge vorzunehmen. Der Hostprovider könne nur dann haftbar gemacht werden, wenn ihm eine klare und detaillierte Kenntnis von der möglichen Rechtsverletzung vermittelt wird.
4. Keine allgemeine Überwachungspflicht für die Beklagte
Das OLG wies auch darauf hin, dass die Beklagte als Hostprovider nicht dazu verpflichtet sei, eine allgemeine Überwachungspflicht zu erfüllen. Eine solche Pflicht würde gegen das europäische Recht verstoßen, insbesondere gegen das Verbot der allgemeinen Überwachungspflichten nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs. Das OLG betonte, dass Hostprovider lediglich auf konkrete Hinweise reagieren müssen, jedoch nicht von sich aus Inhalte überwachen oder filtern müssen, um mögliche Rechtsverletzungen zu verhindern.
Ergebnis der Entscheidung des OLG Frankfurt
Das OLG Frankfurt entschied, dass die Voraussetzungen für eine Haftung der Beklagten als Hostprovider nicht erfüllt seien. Die Beklagte habe keine hinreichende Kenntnis von einer klaren Rechtsverletzung gehabt, und die beanstandeten Äußerungen seien weitgehend als Meinungsäußerungen zu werten, die im Rahmen der öffentlichen Debatte zulässig sein könnten.
Diese Entscheidung zeigt einmal mehr, dass die grundgesetzlich verankerte Meinungsäußerung einen hohen Stellenwert hat und gerade in öffentlichen Debatten einiges erlaubt ist. Derzeit gibt es einige anderslautende Entscheidungen der Amtsgerichte, die unter Berücksichtigung dieser Entscheidung nicht haltbar sein dürften.