„Warten auf den Kunden“: Mitwirkungspflichten und Leistungspflichten des Kunden im IT- Recht.
In diesem Blog geht es um den Annahmeverzug des Kunden und die sich daraus ergebenden Fragestellungen.
Der Terminus „Annahmeverzug“ bedeutet, dass das IT- Unternehmen seine Leistungen erbringen (und abrechnen) könnte, wenn der Kunde seine Leistungen richtig und rechtzeitig erbracht hätte. Oder es entsteht zusätzlicher Aufwand, weil der Kunde erforderliche Leistungen nicht erbringt.
Fall 1: Im Rahmen eines Werkvertrags haben A (Kunde) und X (IT- Unternehmen) vereinbart, dass A bestimmte Handlungen zu einem bestimmten Zeitpunkt vornehmen muss oder, dass er bestimmte Informationen zu einem bestimmten Zeitpunkt vorzulegen hat. Erfüllt der A seine Pflichten nicht, kann der X seine Leistungen nicht erbringen. Der X kann andere Kunden nicht bedienen, weil A nicht mitarbeitet. Er hat viele andere Kunden, die er bedienen könnte. Frage nun: Kann der X von dem A eine Entschädigung (sic. nur Fixkosten) oder auch Schadensersatz (sic. inklusive Gewinn) verlangen?
Fall 2: Software wird vermietet. In dem Vertrag steht unter dem Kapitel „Mitwirkungspflichten“, dass der Kunde eine bestimmte Systemumgebung zu stellen hat. Das tut er nicht, die Software funktioniert nicht gut, stürzt immer wieder ab. A meldet Mängel, X stellt mit einigem Aufwand fest, dass die Software in der richtigen Systemumgebung aber funktioniert.
Fall 3: Wie Fall 2: Die Parameter für die Systemumgebung ändern sich im Laufe der Zeit immer wieder. Der Kunde hat die Systemumgebung so eingestellt, wie es zu Beginn des Vertrags vereinbart war. In dem Vertrag steht nicht, dass der Kunde die Systemumgebung immer wieder aktualisieren muss.
Fall 4: Im Rahmen eines Projekts auf der Basis des Dienstvertragsrechts haben X und A vereinbart, dass die Dienstleistungen des X in einem bestimmten Zeitraum erbracht werden müssen. Der A muss dem X aber noch genaue Anweisungen geben, was zu tun ist. Das tut er nicht. Im Vertrag steht, dass der A nur die tatsächlich geleisteten Stunden zu vergüten hat, nicht aber die Zeiten, in denen die Mitarbeiter des X auf die Anweisungen des A warten.
Grundsätzlicher Aufbau des BGB
Der relevante Teil der Normen zur Lösung dieser Fälle ergibt sich aus dem Schuldrecht, nämlich dem Allgemeinen und Besonderen Teil. Besondere Normen gibt es im Werkvertragsrecht in den §§ 642, 643, im Dienstvertragsrecht in den §§ 615, 616. Die Allgemeinen Regelungen ergeben sich aus den §§ 293 ff BGB.
1.) Werkvertragsrecht.
a.) Im § 642 BGB steht, dass das IT- Unternehmen (Lieferant) einen Anspruch auf eine Entschädigung hat, wenn für die Herstellung eines Werkes die Handlung des Kunden erforderlich ist und der Kunde die Mitwirkungspflicht nicht oder zu spät erbringt. Diese Entschädigung enthält anders als der Schadensersatz (Richtigerweise aus § 281 BGB) nicht den entgangenen Gewinn.
b.) Erforderliche Mitwirkungshandlung, Dokumentation und Aufklärungspflicht
(aa) Voraussetzung ist eigentlich nur, dass die Handlung des Kunden „erforderlich“ ist, was meistens unschwer nachzuweisen ist. Es ist nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht entscheidend, ob die Mitwirkungspflicht vertraglich fixiert wurde. Ich halte das aber für nicht praxisgerecht. Der Kunde weiß häufig nicht welche faktischen Voraussetzungen geschaffen sein müssen damit das IT- Unternehmen seine Leistung erbringen kann. Die juristische Literatur verliert sich an dieser Stelle in Erwägungen darüber, ob es sich um offensichtlich- oder nicht offensichtlich erforderliche Mitwirkungspflichten handelt und ob das IT- Unternehmen eine Aufklärungspflicht verletzt hat, wenn die Mitwirkungshandlung nicht komplett offensichtlich war.
bb.) Aus praktischen Erwägungen sollte man dem Kunden stets vorgeben, wann welche Mitwirkungspflicht zu erbringen ist. Und natürlich muss man „nicht offenkundige Mitwirkungspflichten“ in allen Einzelheiten dokumentieren. Was nicht ausreichen wird, sind Angaben wie „der Kunde habe das Seine zum Projekterfolg beizutragen“ beziehungsweise „der Kunde habe die erforderlichen Schnittstellen beizustellen“. Der Kunde wird sich dann, wenn er mit der Erbringung einer Mitwirkungspflicht in Verzug ist, immer mit dem Einwand versuchen, zu exkulpieren, die Mitwirkungspflicht sei nicht hinreichend klar beschrieben und ihr Inhalt nicht hinreichend deutlich geworden, etc. Solche Probleme lassen sich vermeiden.
cc.) Es ist nicht erforderlich, dass sämtliche Mitwirkungspflichten schon zum Zeitpunkt des Abschlusses des Vertrages klar beschrieben sind. In einem Projekt können Mitwirkungspflichten auch später festgelegt werden. Sie müssen auch nicht vereinbart werden – auch wenn das im Einzelfall sicher der bessere Weg ist. Der Kunde muss sicher über den Umfang der Ressourcen, die er im Laufe des Projektes einsetzen muss, bei Vertragsabschluss aufgeklärt worden sein. Beispiele: Der Kunde muss einen hohen Personalaufwand betreiben, um das Pflichtenheft zu erstellen. Der Kunde muss eine spezielle IT-Infrastruktur oder eine spezielle Software beistellen, damit das Projekt einen Erfolg hat. – Ist der Kunde über solche erforderlichen Mitwirkungshandlungen nicht informiert worden, kann er sich gegen deren Erfüllung mit dem Einwand wehren, er sei nicht ausreichend aufgeklärt worden. Schlimmstenfalls kann der Kunde hier das Projekt kündigen und in die Rückabwicklung gehen.
c.) Obliegenheiten.
Es gibt eine Entscheidung des BGH aus dem Jahre 2008 (B 27.11.2008 NJW 2009, 586), die besagt, dass Mitwirkungspflichten obliegen zu halten sind. Obliegenheiten sind Pflichten, deren Erfüllung allein im Interesse des jeweiligen Kunden liegen. Melden Sie zum Beispiel einen Schaden zu spät an ihre Versicherung, so spricht diese von einer Obliegenheitsverletzung. Die Folge ist, dass die Versicherung die Übernahme der Deckung für diesen Fall ablehnen kann. Obliegenheiten begründen keine Leistungsverpflichtung und deswegen kann aus der Verletzung einer Obliegenheit auch kein Schadensersatz abgeleitet werden. Sie sollten auf jeden Fall nicht akzeptieren, dass der Kunde die Erfüllung von Mitwirkungspflichten als Obliegenheit qualifiziert. Sie könnten in diesen Fällen den vollen Vergütungsanspruch nicht geltend machen. Ich halte die Entscheidung des BGHs für grundverkehrt und würde auch jedem Mandanten raten, im Fall der Fälle gerichtlich dagegen vorzugehen. die Vereinbarung der Mitwirkungspflicht als Obliegenheit würde es dem Kunden ermöglichen, „billig“ aus dem Projekt aussteigen zu können, indem er bestimmte Mitwirkungspflichten nicht erfüllt. Das IT- Unternehmen könnte in diesen Fällen nur eine Entschädigung verlangen. Weder der Wortlaut noch die Systematik (die §§ 642 ff. sind ein besonderer Fall der § 293 ff. BGB) lassen eine vernünftige Begründung dafür zu, in Mitwirkungspflichten eine Obliegenheit zu sehen. Sofern der Gesetzgeber von dem Vorgehen einer Obliegenheit ausgeht, steht dies ausdrücklich in den Gesetzestexten. In dem § 642 BGB steht der Begriff aber nicht.
In der Systematik erklärt sich nicht, wieso der Unternehmer einerseits nicht (wie bei den §§ 280ff) mit Fristsetzung und Ablehnungsandrohung arbeiten muss, um an eine Entschädigung zu gelangen, auf der anderen Seite jetzt aber keinen Schadensersatz mehr erhalten soll. Die Begründung ist nicht stichhaltig. Wie dem auch sei: Passen Sie auf, dass die Mitwirkungspflichten keine Obliegenheiten sind.
bb.) Haupt oder Nebenpflichten
Aus dieser BGH- Entscheidung stammt dann der Wunsch der Werkunternehmer, aus den Mitwirkungspflichten Hauptleistungspflichten zu machen und sie nicht auf der Ebene der Nebenpflichten zu belassen. Wichtig ist, wie gesagt, nicht zuzulassen, dass Mitwirkungspflichten Obliegenheiten sind, weil dann der Schadensersatzanspruch entfällt. Die Unterscheidung in Hauptleistungspflicht und Nebenleistungspflicht ist aber dafür nicht erforderlich. Nebenpflichten sind insbesondere auch die Wahrung des Integritätsinteresses des Kunden (seine Datenbanken müssen weiterhin funktionieren) aber eben auch leistungsbezogene Pflichten, die der Durchführung und Schaffung der Voraussetzungen für die Erfüllung des Hauptvertrags dienen (Palandt § 241 Rn.5).
Um allen Streit zu vermeiden, schreibe ich in meine Verträge, dass der Kunde folgende Leistungspflichten zu erfüllen hat, damit der Vertrag erfüllt werden kann. Damit ist klar, dass diese Leistungen keine Obliegenheiten sind.