Wie steht es mit Vertragsabschlüssen in Online-Shops, wenn die Mitarbeiter erkranken oder aufgrund von Grenzschließung oder Home-Office die Lieferketten unterbrochen werden?
In den Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) kann hierfür die sog. „Selbstbelieferungsklausel“ in Betracht kommen. Doch ist diese überhaupt wirksam?
Wirksamkeit der Selbstbelieferungsklausel
Das OLG Stuttgart hat in einer Entscheidung vom 16.02.2011 (Az. 3 U 136/10) entschieden, dass eine Klausel, in der der Vertragsschluss davon abhängig gemacht wird, dass der Verkäufer selbst rechtzeitig beliefert wird, den Verkäufer dazu berechtigt, vom Vertrag zurückzutreten. Die Klausel lautete:
„Werden wir selbst nicht beliefert, obwohl wir bei zuverlässigen Lieferanten deckungsgleiche Bestellungen aufgegeben haben, werden wir von unserer Leistungspflicht frei und können vom Vertrag zurücktreten. Wir sind verpflichtet, den Besteller über die Nichtverfügbarkeit der Leistung unverzüglich zu unterrichten und werden jede schon erbrachte Gegenleistung des Bestellers unverzüglich erstatten.“
Das OLG Stuttgart hat sich in Hinblick auf die Wirksamkeit der Klausel auf die Rechtsprechung des BGH (BGH NJW 1985, 738) berufen. Das OLG Stuttgart führt hierzu aus:
„Er räumt dem Verkäufer keinen Freibrief ein, sondern soll ihn im Wesentlichen nur vor der Haftung für unverschuldete Unmöglichkeit bei Gattungsware schützen. Er ist dahin zu verstehen, dass er zur Befreiung des Verkäufers von der Lieferpflicht nur dann führt, wenn dieser ein kongruentes Deckungsgeschäft mit dem Vorlieferanten geschlossen hat. Er ist in seiner Bedeutung auf zukünftige und noch ganz ungewisse Gefahren unter Ausschluss der regelmäßigen und vorhersehbaren Ereignisse beschränkt und befreit von einer Haftung nur, wenn sich der Verkäufer die Ware trotz zumutbarer Anstrengungen nicht zu besorgen vermag.“
Voraussetzungen für den Selbstbelieferungsvorbehalt
Es muss sich um ein kongruentes Deckungsgeschäft handeln. Dies ist der Fall, wenn der Einkaufskontrakt des Verkäufers die gleiche Ware und mindestens die gleiche Menge wie der Verkaufskontrakt betrifft, die Qualität der Waren und die Liefer- oder Abladezeit sich jeweils entsprechen und die Erfüllung aus dem Einkaufskontrakt nicht von einer Bedingung oder sonstigen, in der Sphäre des Vorlieferanten auftretenden Umständen abhängig gemacht ist.
Entscheidend ist, und das muss der Verwender einer solchen AGB-Klausel ausdrücklich klarstellen, dass die Haftung für eine verspätete oder unterbliebene Lieferung nur dann zum Rücktritt berechtigt, wenn den Verkäufer kein Verschulden trifft, dass er von seinem Lieferanten „im Stich“ gelassen worden ist.
Corona-Pandemie als „höhere Gewalt“?
Auch wenn in den jeweiligen AGB der Fall der höheren Gewalt geregelt ist, steht in der Aufzählung, was unter höherer Gewalt verstanden wird, nicht zwangsläufig der Fall einer „Pandemie“. Allerdings dürften die Klauseln in der Regel so formuliert sein („, insbesondere ….“), dass die jeweiligen Aufzählungen (meist Naturkatastrophen, Kriege und Unruhen) nicht abschließend sind. Das bedeutet aber noch nicht, dass die Corona-Pandemie automatisch als höhere Gewalt eingestuft werden kann.
Die Corona-Pandemie wurde bereits im Reiserecht als höhere Gewalt eingestuft. Das ist für das Reiserecht auch konsequent. Denn wenn Flughäfen gesperrt und Einreise-Stopps verhängt werden, kann dies nicht dem Reiseveranstalter oder dem Fluganbieter zugerechnet werden. Diese Maßnahmen waren auch zum Zeitpunkt der Reisebuchung nicht vorhersehbar.
Wie wird „höhere Gewalt“ definiert?
Es gibt keine gesetzliche Definition. Der Begriff der höheren Gewalt wird nicht nur in Deutschland verwendet. In vielen internationalen Verträgen findet man Regelungen zu „Force Majeur“ oder „Acts of God“.
Der Bundesgerichtshof hat sich mit dem Begriff der höheren Gewalt einmal auseinandergesetzt. Demnach gilt als höhere Gewalt ein betriebsfremdes, von außen durch Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung nahezu unvorhersehbar ist und auch durch den Einsatz äußerster Sorgfalt nicht verhindert werden kann.
In diesem Artikel gehen wir detaillierter auf den Begriff der „höheren Gewalt“ in der Coronakrise ein.
Fazit
Solange also, entsprechend dieser Definition, die Situation der Corona-Krise zu unvorhersehbaren Ereignissen führt, muss ein Verkäufer sich auf einen vertraglich geregelten (!!) Selbstlieferungsvorbehalt berufen können, so dass auch ein Rücktritt vom eigenen Geschäft möglich sein muss. Wenn aber die Corona-Krise schon einige Wochen anhält, ist die Frage, ob auch weiterhin von einem unvorhersehbaren Ereignis gesprochen werden kann.
Hier wird man den Einzelfall prüfen müssen.
Rechtsfolgen
Sofern eine Selbstbelieferungsklausel verwendet wird, und im Einzelfall von höherer Gewalt ausgegangen werden kann, kann der Verkäufer von dem Vertrag zurücktreten, sofern er den Kunden unverzüglich darüber informiert.
Auch andere Rechtsfolgen sind möglich. Hier kommt es auf die Regelungen in den AGB an. Möglich wäre zB auch, dass die Vertragspflichten sich zeitlich „verschieben“ oder, wenn ein Rücktritt nicht in Betracht kommt (z.B. bei Dauerschuldverhältnissen), der Vertrag gekündigt werden kann.
Und ohne AGB-Klausel?
Wenn Sie in Ihren Verträgen keine Regelung zu höherer Gewalt getroffen haben, dann bleibt Ihnen nur die Prüfung, ob Unmöglichkeit eingetreten ist. Das ist nicht Gegenstand dieses Beitrags und wird daher an dieser Stelle nicht vertieft.
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