Das Pflichtenheft I

Verträge über die Anschaffung bzw. Erstellung von Software sollten stets in zwei Schritten erfolgen. Die erste Phase befasst sich mit der Erstellung des Pflichtenheftes, die zweite dient der Realisierung bzw. Implementierung der Software.

 Der Begriff des Pflichtenheftes ist leider nicht juristisch oder technisch eindeutig definiert. Es lohnt sich, dies im Hinterkopf zu behalten, weil der Auftraggeber unter dem Begriff „Pflichtenheft“ etwas völlig anderes verstehen kann, als Sie das tun.

 

Wenig aussagekräftig ist z. B. die Entscheidung in der DIN 66001, nach der das Pflichtenheft „Die ausführliche Beschreibung der Leistungen [ist], die erforderlich sind oder gefordert werden, damit die Ziele des Projektes erreicht werden“.

 

In der VDI 2519 definiert, dass das Lastenheft „alle Anforderungen aus Anwendersicht einschließlich aller Randbedingungen beschreiben soll. Sie sollten quantifizierbar und prüfbar sein. Im Lastenheft wird definiert, was und wofür zu lösen ist. Das Lastenheft wird vom Auftraggeber oder in dessen Auftrag erstellt. Es dient als Ausschreibungs-, Angebots- oder Vertragsgrundlage“.

 

Das, was in der VDI 2519 als Lastenheft definiert ist, wird unter Juristen schon eher als Pflichtenheft verstanden, als das, was die DIN 66001 darunter versteht.

In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass ein Programm erstellt wird, obgleich ein Pflichtenheft nicht existiert. Das Pflichtenheft ist für den Juristen der Kristallisationspunkt, anhand dessen er feststellen kann, ob die Software überhaupt fertig erstellt wurde und welcher Fehler des Programmes als Mangel anzusehen ist. Da bei Fehlen eines Pflichtenheftes nur Leistungen mittlerer Art und Güte zu erstellen sind, ist Sache des Auftragnehmers, den Auftraggeber darauf hinzuweisen, dass ohne ein Pflichtenheft grundsätzlich die Arbeiten nicht ordnungsgemäß abgeschlossen werden können. Aufgrund eines solchen Hinweises wird der Auftraggeber den Auftragnehmer mit der Erstellung des Pflichtenheftes beauftragen und die einzige Frage, die sich hier noch stellt, richtet sich nach dem Preis, für den das Pflichtenheft erstellt werden kann. Es empfiehlt sich also schon bei der Beratung des Auftraggebers darauf hinzuwirken, dass ein aussagekräftiges Pflichtenheft erstellt wird. Eine andere Frage ist, ob Sie dem Kunden hierfür etwas gesondert in Rechnung stellen wollen oder nicht.

Wenn der Auftragnehmer den Kunden nicht darauf hingewiesen hat, dass die Erstellung eines Pflichtenheftes erforderlich war, kommt es häufig zu Problemen. So ist z. B. denkbar, dass das Programm nicht abgenommen wird. Da das Pflichtenheft Auskunft darüber geben muss, welche Funktionalitäten das Programm erfüllen soll, führt das Fehlen des Pflichtenheftes regelmäßig dazu, dass aus einer Gesamtschau der übrigen Umstände versucht wird abzuleiten, ob die Abnahmefähigkeit der Software vorliegt oder nicht. Ich brauche in diesem Kontext nicht zu betonen, dass ein solches Verfahren kostspielig ist, Zeit kostet und letztlich nur zu einem Vergleich führt. Fehlt das Pflichtenheft, so ist es in diesem Moment von dem Auftragnehmer zu erstellen, denn das Fehlen des Pflichtenheftes stellt einen Teil der Nichterfüllung dar und führt dazu, dass der Kunde nach § 281 BGB Ihnen gegenüber eine Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung erklären kann.

Das zweite Problem kann sich stellen, wenn nach der Abnahme des Programms Probleme auftreten. Das Pflichtenheft dient hier in erster Linie dazu, festzustellen, ob überhaupt ein Mangel vorliegt oder nicht. Die Rechtsprechung ist in diesem Fall durchaus uneinheitlich. Eine solche Verpflichtung wird man aber nur dann annehmen können, wenn eine Leistungsbeschreibung der Funktionalitäten des Programmes auf andere Weise nicht erhältlich ist. Nach der Abnahme – also der Erklärung des Kunden, dass das Programm im wesentlichen vertragsgemäß erstellt wurde, kann eine solche Verpflichtung zur Erstellung des Pflichtenheftes über das Ziel hinaus gehen. Als Grundsatz muss man sich merken, dass die Nichterstellung eines Pflichtenheftes bis zu dem Moment der Abnahme dazu führen kann, dass man das Pflichtenheft noch erstellen muss; nach der Abnahme ist die Rechtslage zweifelhaft.

In der Literatur wird teilweise vertreten, dass der Inhalt des Pflichtenheftes dem Transparenzgebot entsprechen sollte, das nunmehr explizit im § 307 BGB für Allgemeine Geschäftsbedingungen verankert ist. Ich halte das für komplett falsch. Feinspezifikationen, die im Rahmen eines Projektes festgelegt werden, sind keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen, sondern werden zwischen den Parteien genau für einen Einzelfall erstellt. Anderenfalls bedürfte es ja keines Pflichtenheftes. Festzuhalten ist allerdings, dass die Festlegung selbst in einer Sprache abgefasst sein müsste, die es einem Juristen erlaubt, festzustellen, was eigentlich zwischen den Parteien gewollt war. Gerade im Hinblick darauf, dass der Kunde für eine bestimmte Leistung Geld bezahlt, muss dem Kunden klar und verständlich sein, für welche Leistung eigentlich Geld bezahlt werden soll. Insofern sind die Spezifikationen so zu halten, dass der Kunde seine „Hakenliste“ erstellen kann.

Das Pflichtenheft ist abzunehmen. Die Erstellung des Pflichtenheftes selbst ist ein Werk und deshalb spricht auch nichts dagegen, dass dieses Pflichtenheft abgenommen werden soll. Verständlich ist es, wenn der Kunde im Hinblick auf noch offene Fragen eine Abnahme unter Vorbehalt klärt. Man kann von ihm kaum erwarten, dass er all diejenigen Dinge unterschreibt, deren Zusammenhänge er nicht richtig durchdringt.

 

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Stefan G. Kramer

Rechtsanwalt

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2.) OLG Celle CR 95, 152; OLG Köln CR 98, 459

1.) Schneider a.a.O. Seite 234

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